Die Wiedergeburt der Poesie
Interview by Bettina Glas (Orkus, 1998)

Anne Clark und Martyn Bates haben im Mai mit Just After Sunset ein ungewöhnliches und ambitioniertes Album vorgelegt: Thema ist die Vertonung von Rainer Maria Rilkes lyrischem Werk. Mit klassischer Instrumentierung unterlegt (Piano, Cello und Violine sind die vorherrschenden Instrumente), rezitiert Anne Clark Rilkes Lyrik in englischer Übersetzung in dem für sie typischen Sprechgesang und schafft so eine neue poetische Betrachtungsweise, auf die einzulassen sich lohnt. Ergänzt wird sie durch Martyn Bates, sehr beruhigende, zum Thema perfekt passende Stimme. Sie sehen sich als zwei Freunde, welche die Schönheit in Rilkes Worten anerkennen und genießen. Enstanden ist hierbei ein zeitloses Album jenseits des hektischen Alltagsleben. Orkus hat Anne einige Fragen zu diesem außergewöhnlichen Werk und seinen Hintergründen gestellt:

Orkus: Anne, dein neues Album ist sehr speziell, außergewöhnlig. Wer hatte die Idee zu einem solchen Album?

Anne Clark: Die Idee wurde 1996 urprünglich von mir an Martyn Bates herangefragen, aber wie du ja nun siehst, ist Just After Sunset ein gemeinsames Projekt von Martyn Bates und mir.

O: Mit Martyn Bates arbeitest du ja nun schon seit etlichen Jahren zusammen … .

AC: Ja, ich habe Martyn vor vielen Jahren (1982, um genauer zu sein) das erste Mal getroffen, als er mit seiner Band Eyeless In Gaza bei verschiedenen Festivals in England spielte, bei denen ich auch auftrat. Aber erst 1991/92 begannen wir mit dem Album The Law is an Anagram of Wealth gemeinsam zu schreiben und aufzunehmen. Dem folgten dann zahlreiche gemeinsame Liveauftritte und weitere Aufnahmen wie Psychometry und To Love and Be Loved. Wir haben auch an verschiedenen Compilation-Projekten zusammen gearbeitet, wie z.B. ‘Tale of the Caliph Hakem’ mit Bill Laswell.

O: Wie kamst du eigentlich mit Rilkes Lyrik in Berührung?

AC: Ich habe Rilke gekannt, wie ich z.B. auch Novalis, Rimbaud oder Clare gekannt habe. Wenn man so viel liest wie ich, gibt es eine unerschöpfliche Quelle von Schriftstellern und deren Werken, die man entdecken kann. Aber es war, glaube ich, eine Übersetzung von ‘Der Panther’ die ich im Radioo gehört habe und die mich u Rilkes Werk hingezogen hat.

O: Hast du Rilke im Original oder in der englischen Übersetzung gelesen?

AC: Mein Deutsch ist leider furchtbar schlecht. Wenn ich in Deutschland bin, komme ich in den Läden mit meinem Deutsch zwar so einigermaßen durch, aber wenn ich Rilke auf deutsch lese, bin ich dabei doch sehr, sehr langsam. Leider. Vielleicht finde ich ja mal einen Lehrer, der sehr, sehr geduldig mit mir ist.

O: Warum hast du gerade ein Album über einen deutschen Poeten gemacht? Was fasiniert dich so an Rilke?

AC: Oh, das ist kein Album “über einen deutschen Poeten”. Es ist ein Album über die Interpretation von Rilkes Werk. Was mich an seiner Lyrik vor allem so tief beeindruckt, ist die Zeitlosigkeit und Universalität seiner Gedichte. Er vermittelt eine Wehmut und eine Tiefe des Gefühls, und er hat die Fähigkeit, Gefühle in Sprache zu transponieren, die ihn von vielen, ich möchte sogar sagen, von allen Schriftstellern, die ich bisher in meinem Leben gelesen habe, abhebt. Ich denke, die Stärke einer jeglichen Kunstform ist sicherlich die, eine individuelle Erfahrung auch zu der eines anderen Menschen zu machen.

O: Wie würdest du denn die Musik auf Just After Sunset in eigenen Worten beschreiben?

AC: Zart. Ruhelos. Zerbrechlich.

O: Ja, ich finde, diese Musik paßt einfach perfekt zu den Gedichten. Was denkst du, woran das liegt?

AC: Weil sie das Wesen der Gedichte erfaßt. Übrigens: mir ist noch wichtig, zu erwähnen, daß die Track-Reihenfolge, in der Just After Sunset veröffentlich wurde, einen Kompromiß meinerseits darstellt. Aber mit der Magie der Technik und Im Zeitalter der programmierbaren Cd-Player ist es ja möglich, daß der Hörer die von mir vorgeschlagene Reihenfolge ausprobiert: 1. Silent Forces, 2. Autumn, 3. Song of the Sea, 4. To Music, 5. From the Book of Pilgrimage, 6. Going Blind, 7. From the Book of Monastic Life (I), 8. The Panther, 9. Time and Again, 10. The Garden of Olives, 11. The Apple Orchard, 12. The Fruit, 13. Early Spring, 14. Autumn Day, 15. From the Book of Monastic Life (II), 16. The Departure of the Prodigal Son, 17. Sehnsucht. Mit der auf der Cd veröffentlichten Reihenfolge, empfinde ich, verliert das Album seine Kontinuität. Es ist nun lediglich ein Album aus einzelnen Stücken. Mit der oben angegebenen Reihenfolge bekommt es eine Richtung und einen Fluß.

O: Wie kam das Album eigentlich letztlich zustande?

AC: Nur unter sehr großen Schwierigkeiten. Das mangelnde Intresse der Plattenfirmen war sehr entmutigend. Wenn Jörg Dogondke das Projekt schließlich nicht finanziert hätte, wäre es wahrscheinlich bis heute weder veröffentlicht noch aufgenommen. Der ganze Prozeß des Komponierens war sehr dynamisch. Für manche Gedichte hatte Martyn bereits die Musik fertig geschrieben. Bei anderen hatte er schon eine Idee, der ich meine Teile hinzufügte, und einige Stücke enstanden, als wir sie diskutiert und aufgenommen haben.

O: Was war eigentlich dein persönliches Intresse daran, solch ein spezielles Album zu machen?

AC: Eine interpretation der Reaktion zweier Personen auf Rilkes Werk anzubeiten. In einer Zeit, in der ”Poesie” ein solch archaisches Wort zu sein scheint, ist dies nur ein Versuch, diese erhabenen Texte in eine Umgebung einzubauen, welche möglicherweise ein neues Publikum anspricht. Einfach aufzuzeigen, welche innere Macht Poesie über ein Individuum haben kann.

O: Wie persönlich ist diese Album für dich?

AC: Sehr persönlich, ich denke sogar, noch persönlicher als ein Album mit meinem eigenen Texten.

O: Wirst du damit auch live zu sehen sein?

AC: Ich habe keinerlei Liveauftritte geplant, außer ein paar Festivals im Sommer mit dem ‘Wordprocessing’-Material (Anm.: Anne’s letztes “reguläres Album”).

O: Möchtest du den Orkus-Lesern zum Abschluß noch etwas sagen?

AC: Lots of love!